Budapest & Beyond
Defending Intellectual Freedom
Es war kein Zufall, dass 2012 die Auftaktveranstaltung der Debates on Europe in Budapest stattfand. Ungarn war seinerzeit erst seit acht Jahren Mitglied der Europäischen Union, aber das Land begann sich schon damals von zentralen Werten und Prinzipien dieser Staatengemeinschaft abzuwenden. Heute, bald ein Jahrzehnt später, zählt die ungarische „illiberale Demokratie“ zu einer der größten Herausforderungen des europäischen Integrationsprojekts. In einer Reihe von Online-Gesprächen kehrt Debates on Europe nun digital nach Budapest zurück. Namhafte Intellektuelle, Autoren und Experten diskutieren gegenwärtige Angriffe auf die akademische und künstlerische Freiheit und erörtern, wie auch die Geschichtsschreibung in ihrem Land zu einem Instrument autoritärer politischer Vorhaben geworden ist. Welche Rolle spielt Ungarn für die Zukunft Europas? Und welche Rolle spielt die EU in Ungarn?
Talks
Programm
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4. Mai
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Seit Jahren steht Ungarn an der Spitze einer wachsenden Gruppe von EU-Staaten, die Werte und rechtliche Prinzipien, die einer liberalen Demokratie zugrunde liegen, anfechten. Gleichzeitig fordern kritische Stimmen innerhalb des Landes Brüssel dazu auf, ihnen im Kampf gegen diese autokratischen Tendenzen und das Aushebeln des Rechtsstaates zur Seite zu stehen. Ungarn ist somit in vielerlei Hinsicht ein Präzedenzfall für das Projekt der europäischen Integration und es ist immer noch nicht entschieden, was das Resultat dieses Experiments sein wird.
Timothy Garton Ash (Professor für Europäische Studien an der Oxford Universität)
Moderation: Gian-Paolo Accardo (Chefredakteur, Voxeurop) und
Réka Kinga Papp (Chefredakteurin, Eurozine)
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5. Mai
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In Ungarn gibt es zahlreiche Angriffe auf die akademische Freiheit. Die Central European University war dadurch gezwungen, von Budapest nach Wien umzusiedeln, und die Unabhängigkeit der Ungarischen Akademie der Wissenschaften wird durch ein umstrittenes Gesetz zur Erhöhung staatlicher Kontrolle untergraben. Was bedeutet „Freiheit“ überhaupt in einem Land wie Ungarn, dessen Demokratie eine erst kurze Geschichte hat? Und wie hat sich nach dem Brexit die Lage im Vereinten Königreich verändert? Was ist passiert mit dem Leuchtturm für liberale Demokratie, und was bedeutet dies für die Hochschulbildung?
Rüdiger Görner (Professor für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft an der Queen Mary Universität in London)
im Gespräch mit
Győző Ferencz (Geschäftsführender Präsident der Széchenyi Akademie für Literatur und Kunst) -
Vor Kurzem rief die Überführung der Budapester Staatlichen Universität für Theater und Filmkunst in die Hände einer privaten, Fidesz-nahen Stiftung laute Proteste hervor. Gibt es Strategien, um akademische und allgemeine Bildungssysteme vor solchen Angriffen zu schützen? Gleichzeitig ist es ein anhaltender Trend, die akademische Freiheit nicht nur in Ungarn, sondern vielerorts in Europa zu untergraben: das Primat des „brauchbaren Wissens“ vor dem „kritischen Denken“ und der Niedergang der Geisteswissenschaften regieren weiter. Welche Bündnisse können gegen diese Strömungen eingegangen und eingesetzt werden – auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene?
Barbara Stollberg-Rilinger (Rektorin, Wissenschaftskolleg zu Berlin)
im Gespräch mit
Anna Gács (Institut für Soziologie und Kommunikation, BME Universität Budapest; Mitglied des ungarischen Netzwerks der Universitätsdozenten, OHA)
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6. Mai
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Allerorts in Europa instrumentalisieren Politiker Geschichtsschreibung zunehmend im Kontext ihrer ideologischen Projekte. In Ungarn und Polen halten national-illiberale Regierungen das Narrativ fest im Griff und diktieren die Deutungsvarianten der Geschichtsschreibung. In Deutschland ist die Rolle der Geschichte eine andere. Die Auseinandersetzung mit den dunkelsten Kapiteln der deutschen Vergangenheit führte zu einer Verantwortungshaltung, die sowohl die nationale als auch die europäische Politik des Landes prägt. Was für eine Rolle spielt Geschichte bei Identitätsstiftung und Staatenbildung? Wie können Museen und andere Erinnerungsorte sich davor schützen, instrumentalisiert zu werden, und gleichzeitig ihre Relevanz in den heutigen Gesellschaften behaupten?
Joachim von Puttkamer (Direktor des Imre-Kertész-Kollegs Jena)
im Gespräch mit
Paweł Machcewicz (Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk)
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7. Mai
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Die ungarische Kultur befindet sich im Umbruch. Ein neues Kulturgesetz stellt die Bewahrung der nationalen Kultur und die Stärkung der nationalen Identität in den Vordergrund. Durch einen Kulturrat bekommt der Staat Einfluss sowohl auf die Strukturen als auch die Inhalte kultureller Institutionen. Wie wirkt sich das auf Schriftsteller, Künstler und andere Kulturschaffende aus? Im Vereinigten Königreich hat der populistische Nationalismus um den Brexit die Gesellschaft gespalten, und die Nostalgie um eine imaginierte Vergangenheit prägt die Zukunftsentwürfe des Landes. Wie frei ist Literatur in einer politisierten Gesellschaft – in Ungarn und anderswo in Europa?
Rednerinnen: A. L. Kennedy (Autorin, Schottland) und Zsófia Bán (Autorin, Ungarn)
Moderation: Rosie Goldsmith (Direktorin des European Literature Network, UK)
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Participants
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Gian-Paolo Accardo
Gian-Paolo Accardo, 1969 in Brüssel geboren, ist ein italienisch-niederländischer Journalist. Er ist Chefredakteur von Voxeurop, Mitbegründer und Geschäftsführer der Voxeurop European Cooperative Society und redaktioneller Koordinator des European Data Journalism Network.
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Zsófia Bán
Zsófia Bán ist eine ungarische Schriftstellerin, Essayistin und Kritikerin, wie auch eine der öffentlich wirksamen Intellektuellen des Landes. Ihr jüngster Erzählungsband Weiter atmen (Suhrkamp 2020) war im Juli 2020 die Nummer 1 auf der ORF Bestenliste. Sie ist außerordentliche Professorin für Amerikanistik an der Eötvös Loránd-Universität (ELTE) in Budapest.
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Győző Ferencz
Győző Ferencz ist ein ungarischer Dichter und Literaturkritiker sowie Professor em. der Eötvös Loránd-Universität (ELTE), an der er englische und irische Literatur lehrte. Er ist geschäftsführender Vorsitzender der Széchenyi Akademie der schönen Künste und Mitglied der Academia Europaea.
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Anna Gács
Anna Gaćs ist Kritikerin und Übersetzerin. Sie hat an Universitäten in Budapest und London gelehrt. Von 2015 bis 2018 war sie Vorsitzende von Szépírók Társasága, der Ungarischen Gesellschaft für Schriftsteller, Kritiker und Literaturübersetzer. Außerdem ist sie Gründungsmitglied von Oktatói Hálózat, dem Ungarischen Netzwerk der Universitätsdozenten.
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Timothy Garton Ash
Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Oxford Universität, Isaiah Berlin Professorial Fellow am St Antony’s College, Oxford, und Senior Fellow der Hoover Institution an der Stanford Universität. Seine jüngstes Buch ist The Magic Lantern: The Revolution of ’89 Witnessed in Warsaw, Budapest, Berlin and Prague (Atlantic Books 2019).
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Rosie Goldsmith
Rosie Goldsmith ist eine preisgekrönte Journalistin für Kunst und Außenpolitik. Heute verbindet sie ihre journalistische Tätigkeit mit ihren Aktivitäten als Moderatorin und Kuratorin von literarischen Veranstaltungen und Festivals. Sie ist die Gründerin und Leiterin des European Literature Network und hat die Zeitschrift The Riveter ins Leben gerufen.
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Rüdiger Görner
Rüdiger Görner ist Professor für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaften, Übersetzer, Autor sowie Gründungsdirektor des Zentrums für Britisch-Deutsche Kulturbeziehungen an der Queen Mary-Universität in London. Er wurde u.a. mit dem Reimar Lüst-Preis für internationale Wissenschafts- und Kulturvermittlung und dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
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Réka Kinga Papp
Réka Kinga Papp ist seit November 2018 Chefredakteurin von Eurozine. Papp ist Fachjournalistin für Umweltrechte, soziale Rechte und Menschenrechte, außerdem Autorin eines Buches zum Thema Sexarbeit und Prostitution in Ungarn, Aki kurvának áll: szexmunka sztorik (Kossuth 2017).
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Paweł Machcewicz
© Anna Machcewicz
Paweł Machcewicz ist Historiker, ehemaliger Professor an der Polnischen Akademie der Wissenschaften (2008 – 2017) und Gründungsdirektor des Museums des Zweiten Weltkrieges in Danzig. Er ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt: „The War that Never Ends. The Museum of the Second World War in Gdańsk” (2019).
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Barbara Stollberg-Rilinger
Barbara Stollberg-Rilinger studierte Geschichte, Germanistik und Kunstgeschichte an der Universität Köln, wo sie 1985 promovierte. Sie hat seit 1997 den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster inne. 2018 wurde sie als Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin berufen. Für ihre Arbeit wurde sie mit zahlreichen Preisen gewürdigt, u.a. dem Sigmund Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung.
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Joachim von Puttkamer
Joachim von Puttkamer ist Direktor des Imre Kertész Kollegs Jena und Professor für Osteuropäische Geschichte an der Friedrich-Schiller-Universität. Er forscht zur modernen und zeitgenössischen polnischen, ungarischen, tschechischen und slowakischen Geschichte, mit besonderem Schwerpunkt auf der Geschichte der Demokratie sowie der Geschichts- und Museumspolitik in Mittel- und Osteuropa.
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